Berlinale 2024 in Kleinmachnow, Team von "The Faible", Indien
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Indien, Schottland, Wedding: Berlinale in Kleinmachnow

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Mit “Sieger sein” wurde der Kleinmachnower Teil der Berlinale am Sonntag in den Neuen Kammerspielen schon um 14 Uhr eröffnet, es folgten der indische Film “The Fable” und der deutsch-britische Film “The Outrun”. Alle drei Vorstellungen von “Berlinale goes Kiez” in Kleinmachnow waren rasch ausverkauft.

Schon eine halbe Stunde vor dem ersten Film hatte sich eine Warteschlange vor dem roten Teppich gebildet. “Sieger sein” handelt von Mona, einem Flüchtlingsmädchen aus dem kurdischen Teil Syriens, das sich jetzt in einer Weddinger Schule zurechtfinden muss. Die anderen Jugendlichen lehnen sie ab, doch ein Lehrer hilft ihr nicht zuletzt nach Hinweis einer Mitschülerin dabei, Fuß zu fassen: Er nimmt sie in der Fußballmannschaft auf, wo sie rasch zu einem wichtigen Mitglied wird. 

“Es gibt keine gute Diktatur”

Natürlich gibt es noch Aufs und Abs, auch eine Mini-Lektion über Demokratie und Diktatur gibt es (“Diktatur ist der Feind der Freiheit” und “Es gibt keine gute Diktatur”), ein bisschen Hintergrundwissen über den Krieg in Syrien und den Widerstand, aber am Ende gibt es das kinderfilmgerechte Happy End. Insgesamt eine gute Mischung aus Ernst und Humor, Beziehungsthemen und Weltpolitik, und die Menge an Fußball ist auch für Nicht-Fans erträglich.

Regisseurin Soleen Yusef hat in dem Film ihre eigene Geschichte und die ihres Lehrers erzählt, berichtete sie dem Kleinmachnower Publikum nach dem Film. Ihr sei es wichtig, die anderen Lebensrealitäten dieser Kinder mit Migrationshintergrund, die ja auch alle deutsch seien, auf der Leinwand zu zeigen.

Gedreht wurde dabei aber nicht in der Original-Schule im Wedding, sondern in Kreuzberg, in einer Schule mit einem äußerst engagierten Direktor, der alles möglich gemacht habe. Die jungen Darstellerinnen und Darsteller, von denen acht in Kleinmachnow mit waren, bezeichneten das Erlebnis, den Film zwei Tage zuvor das erste Mal bei der Berlinale auf der Leinwand zu sehen als zauberhaft, atemberaubend oder einfach geil, aber auch total emotional. “Ich habe auch ein bisschen geweint”, sagten eine Darstellerin und ein Darsteller. 

Nettes Details am Rande: Unter den Zusehern befanden sich auch Spielerinnen des RSV, die in dem Film in einem gegnerischen Team mitgespielt hatten.

Indien: The Fable

Wer bei dem Film “The Fable” (Indien/USA, 2024) mit Bollywood gerechnet hatte, wurde schnell eines Besseren belehrt: Getanzt wurde hier gar nicht, Musik gab es kaum. Stattdessen wurde “Magic Realism” mit Realismus gemischt: Der Film spielt 1989 auf einer Obstplantage, die Atmosphäre ist anfangs friedlich, der Plantagenbesitzer und seine Familie führen ein gutes und ruhiges Leben, seine Arbeiter sind ihm ergeben. Das Hobby des besonnenen Mannes: Er baut Flügel aus Holz und Federn, mit denen er über seine Plantage fliegt.

Alles ist friedlich, bis unerklärlicherweise erst ein Baum, dann mehrere und schließlich ganze Hänge abbrennen. Der Besitzer traut niemandem mehr, der Polizist, der die Sache aufklären soll, ist eher an der Anzahl der Verhaftungen als an einer Aufklärung interessiert, Schuldzuweisungen zerstören den Frieden. Immer wieder werden mystische Hinweise gestreut, ein Leopard taucht kurz auf, die Tochter des Besitzers nimmt eine telepathische Verbindung mit einem Mönch auf. Am Ende bleibt alles offen.

Regisseur Raam Reddy sagte im Anschluss an den Film: “Ich möchte immer eine Welt darstellen, von der ich selbst gerne Teil wäre.” So hätte er als Kind immer gern fliegen können. Hauptdarsteller Manoj Bajpayee erklärte: “Es geht nie um dich, es geht immer um die Story von der du dich entscheidest, ein Teil zu werden.”

Der Film war in Kleinmachnow von Pannen eingerahmt: Zu Beginn musste er aus technischen Gründen zweimal gestartet werden, dann gab es am Ende einen Schreckmoment, als beim Publikumsgespräch der Kameramann auf der Bühne umfiel. Hilfe war jedoch schnell da, mehrere Ärzte aus dem Publikum versorgten ihn, bei Eintreffen der Rettung war er wieder auf den Beinen.

“The Outrun” von Nora Fingscheidt

Vor fünf Jahren hat sie mit “Systemsprenger” bei der Berlinale einen Silbernen Bären eingesammelt, jetzt macht Nora Fingscheidt mit “The Outrun” von sich reden: Sie hat die Biographie von Amy Liptrot -im Film Rona – verfilmt, die mit 30 Jahren nach wilden Jahren in London als trockene Alkoholikerin in ihre schottische Heimat, die Insel Orkney, zurückkehrt, um dort wieder zu sich zu finden – auch wenn sie davon überzeugt ist, ohne Alkohol nicht glücklich sein zu können. Dabei gibt es Rückblicke auf das Leben in London, aber auch auf ihre Kindheit mit einem bipolaren Vater und einer Mutter, die sich in die Religion flüchtete.

“The Outrun” sei am Ende der Pandemie zu ihr gekommen, so Fingscheidt, als sie in Los Angeles gelebt habe, ihre Eltern schon zweieinhalb Jahre nicht mehr gesehen und wahnsinniges Heimweh nach Europa gehabt hatte. Als sie das Buch las, habe sie riesige Sehnsucht bekommen, auf den schottischen Inseln zu drehen.

Das Buch sei aber sehr schwierig zu adaptieren gewesen, da es Tagebucheintragungen seien und als Buch keinen spannungsgeladenen Plot habe: “Sie kommt dahin und ist nüchtern und ist am Ende immer noch nüchtern.” Fingscheidt sei dann mit dem Buch auch in die Einsamkeit gegangen, habe alle Elemente sortiert, habe eine Struktur gesucht und dann wurde eng gemeinsam dran gearbeitet, bevor gedreht und geschnitten wurde. “Und dann hat er so gar nicht funktioniert”, erzählte sie. 

Acht Monate lang sei dann neu geschnitten worden. Jetzt sei der Film am Anfang chaotisch, wie auch Ronas Leben. “Und erst, wenn sie selbst zur Ruhe kommt, kommt auch der Film zur Ruhe.” Auch seien zwei Figuren fast ganz rausgelogen, “weil man so hin- und hergeschmissen zwischen den Figuren war”, so Fingscheidt. Gedreht wurde viel an Originalschauplätzen – bis hin zum echten Campervan des Vaters. Dabei war das Wetter ein wichtiger Faktor – aber anders, als vom Publikum gedacht, war es oft zu sonnig. “Wir haben immer eher auf Wind und Sturm gewartet.”

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Amy Liptrot habe den Film immer eng begleitet, so Fingscheidt. Sie habe jeden Tag das Drehmaterial zu sehen bekommen, die Eltern hätten das Drehbuch vorab zu lesen bekommen und sie habe auch Feedback zum Schnittprozess geben können. Die Autorin habe ihr aber gesagt, sie sei vor jeder Nachricht nervös gewesen – zum einen, weil es sie an alles erinnert habe, zum anderen aber auch, “weil sie eine Meta-Version ihres Lebens sah und teilweise nicht mehr sicher war, was ist wirklich Erinnerung”. Liptrot sei inzwischen seit mehr als zwölf Jahren und drei Monaten trocken und lebe “noch immer kein normales Leben”, inzwischen mit Mann und zwei Kindern.